(As) Queer As Weird. Ästhetik des Absurden im Krisen-Kino

Trotz wiederholter Einwände ist dem Begriff und wissenschaftstheoretischen Konzept der Queerness weiterhin eine gewisse Persistenz zu attestieren. Ähnliches gilt für das „New Queer Cinema“, das dessen Erfinderin B. Ruby Rich zwar unlängst als temporäres Phänomen eingegrenzt hat (Rich 2000), das ohne das vorangestellte Adjektiv jedoch zumindest als Label fortbesteht. Gemäß der Forderung Judith Butlers, „queer“ als operativen Kritikbegriff und damit als beständiges Überdenken auch der eigenen Positionen zu verstehen (Butler 2012), ist die Frage nach dem queeren Kino neu anzuvisieren.

Im Zusammenhang mit filmischer Ästhetik sind Begriffe wie „weird“, „strange“ und „absurd“ bisher vornehmlich in Bezug auf Genres – etwa Horror und Exploitation/Trash – oder Individualstile – etwa Alejandro Jodorowsky und David Lynch – profiliert worden. Dies wird um den Vorschlag erweitert, angesichts jüngerer Tendenzen im europäischen Kino zur Krise, insbesondere der Greek Weird Wave (vgl. Psaras 2016), eine Neukonturierung von Queerness als spezifisch filmästhetische Weirdness zu begreifen. Filme wie Yorgos Lanthimos’ KINETTA (2005), Athina Rachel Tsangaris ATTENBERG (2010) oder auch Maren Ades TONI ERDMANN (2016) gehen dabei über eindeutige Inszenierungen, d.h. die bloße Repräsentation von queeren Menschen entscheidend hinaus: Konstruktionen von Gender und Sexualität stehen zwar weiterhin im Fokus und werden zusätzlich verkompliziert, entziehen sich im Zuge dessen aber nunmehr selbst alternativen Kategorisierungen. Wie der Vortrag anhand konkreter Beispielanalysen aufzeigen möchte, erreicht die filmische Performativität in ihrer komplexen Charakterisierung von weird people, aber eben auch einer übergreifenden Ästhetik des Absurden eine neue Qualität zeitgenössischer Audiovisualisierungen von Andersartigkeit.

Literatur

Butler, J. (2012): „Critically Queer“, in: Hall et al. [Hg.] Routledge Queer Studies Reader, New York/London 2013
Psaras, M.: The Queer Greek Weird Wave, Cham/CH 2016
Rich, B. R.: „Queer and Present Danger“, in: Sight & Sound 10.3, 2000


Tullio Richter-Hansen. Promotion (Dr. phil.) zur Ästhetik und Politik des US-Spielfilms nach 9/11 an der Goethe-Universität Frankfurt, Promotionsstipendium der Heinrich-Böll-Stiftung. Zuletzt Wissenschaftlicher Mitarbeiter/Lehrbeauftragter der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Laufendes Post-Doc-Projekt zur differenzialen Vernetztheit im Sportfilm. Aktuell Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Freien Universität Berlin. Weitere Schwerpunkte: Genretheorie, mediale Genderbilder, transdisziplinäre Differenzforschung.