„A global epidemic of Nostalgia“?[1]

Mediennostalgische Reminiszenzen in der (post-)digitalen Gegenwart

Die Vergangenheit ist so präsent wie noch nie.[2] Unsere digitalmediale Gegenwart scheint durchzogen zu sein von Phänomenen, die unter Begriffe wie „Nostalgie“, Retro“ und „Vintage“ gefasst werden und denen gemein ist, dass sie das Alte, Vormalige, Überholte und – scheinbar – Obsolete zelebrieren. Beobachtungen über die Omnipräsenz dieser Hinwendung zur Vergangenheit durchziehen alltägliche wie auch wissenschaftliche Diskurse. In der breit rezipierten Arbeit „The Future of Nostalgia“ (2001) von Svetlana Boym heißt es zum Beispiel:

„The ambivalent sentiment [nostalgia, Anm. MK] permeates twentieth-century popular culture, where technological advances and special effects are frequently used to recreate visions of the past […]. Somehow progress didn’t cure nostalgia but exacerbated it. (ebd.: xiv). [Herv. MK].

Ähnlich bestimmt Johanne Garde-Hansen eine „voracious culture of nostalgia” (2011: 71), die sie anhand des „retro use of digital media, online networking and the repurposing of music, fashion, film, art and design archives” zu erkennen glaubt (ebd.). Und Jussi Parikka spricht gar von einer

„wider cultural situation where vintage is considered better than the new, Super-8 and 8-bit sounds are objects of not only nostalgia but also revival and retrocultures seem to be as natural a part of the digital-culture landscape as high-definition screen technology and super-fast broadband” (2012: 3).

An diesen und ähnlichen Bestimmungen wird deutlich: „Nostalgie“ hat sich als sehr gängiges, evaluatives Begriffskonzept für die Reflexion gegenwärtiger digitaltechnischer Entwicklungen der Gegenwart etabliert. Dabei dient Nostalgie keineswegs nur als Konträrentwurf zum technischpositivistischen Fortschrittsdenken einer zunehmend digitalen Alltagswelt oder Krisenbewältigung eines vermeintlich immer schneller voranschreitenden Informations- und Reizüberflusses. Vielmehr scheinen gerade Medienprodukte und -praktiken als Anlass, Gegenstand und Darstellungsverfahren von affektiven Erinnerungsbekundungen an eine (prädigitale) Vergangenheit bestimmt zu werden.

Der Vortrag betrachtet die Darstellungsmodalitäten und Vergegenwärtigungspraktiken, mithilfe derer „Nostalgie“ medial hergestellt und erfahrbar gemacht wird, und reflektiert dabei das dynamische Wechselverhältnis von Aneignung und Reminiszenz, das reflexive, spielerische und gar ironische Züge annehmen kann.

Erwähnte Literatur:
  • Boym, Svetlana (2001): The Future of Nostalgia. New York: Basic Books.
  • Garde-Hansen, Joanne (2011): Media and Memory. Edinburgh: Edinburgh University Press.
  • Huyssen, Andreas (2003): Present Pasts: Urban Palimpsests and the Politics of Memory. Stanford: Stanford University Press.
  • Parikka, Jussi (2012): What is Media Archaeology? Cambridge: Polity Press.

[1] Zitat nach Boym 2001: xiv.

[2] „The past has become part of the present in ways simply unimaginable in earlier centuries“ (Huyssen 2003: 1).


Mirjam Kappes studierte Medienwissenschaft, Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft sowie Kunstgeschichte an den Universitäten Freiburg i. Br., Basel (CH), Hamburg und London (UK). Sie ist Stipendiatin der a.r.t.e.s. Graduiertenschule der Universität zu Köln und als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienkultur und Theater angestellt.

Mirjam Kappes ist Mitbegründerin der NECS-Workgroup Nostalgia und initiales Mitglied des IMNN (International Media and Nostalgia Network).