Bildbewegungen und Bootleg-Überlieferungen: Tanz, Video, Film

Gegenstand meines Vortrags ist der elfminütige Film It’s Aching Like Birds (2001), den die Performance-Gruppe Goat Island gemeinsam mit der Filmemacherin Lucy Cash entwickelt hat. Grundlage des Films ist die von Goat Island zwischen 1999 und 2003 entwickelte Performance It’s an Earthquake in My Heart. Der auf 16mm gedrehte und digital nachbearbeitete Film ist kein ‚Mitschnitt‘ einer Aufführung. Für die Produktion des Films wurden einige Aktionen der Performance in einer Turnhalle und in einem leeren Haus – für die Kamera, ohne Publikum – ausgeführt. Gegenüber der Performance verfassen die filmischen Bildbewegungen und die Montage neue Beziehungen zwischen Texten und Choreographien, räumlichen Anordnungen und thematischen Wiederholungen, Klängen und sichtbaren Objekten. Die visuelle Komposition der filmischen Einstellungen und ihre Anschlüsse vermitteln den Eindruck von Kontinuität. Durch die konstruierte Bewegungskontinuität treten für Zuschauer_innen die präzise choreographierten, doch ungelenk ausgeführten tänzerischen Bewegungen der Performer_in auffällig hervor.

Für die Performance It’s an Earthquake in My Heart haben die Mitglieder von Goat Island kurze Bewegungsfolgen aus Pina Bauschs Tanztheaterstück Café Müller (1978) eingeübt. Zum Erlernen der Choreographien benutzten sie eine Videoaufzeichnung des Stücks. Videomitschnitte von Café Müller kamen in Umlauf, nachdem eine vom Norddeutschen Rundfunk 1985 produzierte Dokumentation im Fernsehen gesendet worden war.

Mein Beitrag analysiert It’s Aching Like Birds mit Blick auf die medientechnischen Übertragungen und die medienästhetischen Übersetzungen zwischen dem Tanztheaterstück, dem Video, der Performance und dem Experimentalfilm. In It’s Aching Like Birds entwirft die montierte, zeitgebundene Form der filmischen Bilder neue Beziehungen zwischen der Dauer verkörperter Bewegungen, den bewahrenden Objektbezügen der technischen Aufzeichnung und der beständigen Veränderung von Materialanordnungen in der Zeit.


Ulrike Hanstein ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Kunstgeschichte und Filmwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena und lehrt an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig. Nach ihrer Promotion an der Freien Universität Berlin war sie Postdoktorandin am Graduiertenkolleg „Mediale Historiographien“ (Weimar, Jena, Erfurt), Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bauhaus-Universität Weimar und Fellow am Getty Research Institute, Los Angeles.