Dem Blick entzogen – Über Ahnungslosigkeit und (Un)sichtbarkeit in Birdman

Konstituiert in einem stetigen Spannungsverhältnis zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit erprobt Alejandro González Iñárritus Film Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) (USA, 2014) in expliziter Weise die Grenzen zwischen filmischem On- und Off-Raum. Emmanuel Lubezkis Kamera erweist sich dabei als überaus dynamisch, gleitet sie scheinbar verselbstständigt kontinuierlich und ohne Schnitt durch Raum und Zeit. Distanziert folgt sie Riggan Thomson durch Theaterflure oder geht dem Protagonisten wohlwissend voran, in einem stetig dekadrierendem Bildausschnitt, der Figuren und Gegenstände entweder ins Bild rückt oder sie ins nicht mehr sichtbare Off verschiebt. In weiten Teilen als eine einzige Plansequenz getarnt, kann Birdman als filmische Anti-These gelesen werden. Zeitliche Sprünge ergeben sich während eines Reißschwenks, eines Lichtwechsels oder mit dem (Wieder-)Auftauchen einer eben aus dem Bildkader verschwundenen Figur.

Zweifellos stellt Birdman die Erwartungen der Rezipient_innen auf die Probe. Darüber hinaus werden Antizipationen eines angetäuscht kurz bevorstehenden Endes enttäuscht, wenn dieses nicht eintritt, sich die Kamera stattdessen unentwegt fortbewegt, und sie gerade in ihrer Nichtsichtbarkeit selbstreflexiv auf sich selbst verweist.

Neben den formalen Stilmitteln zur Konstitution eines ambivalent gestalteten filmischen On/Off (u.a. Adachi-Rabe, Schaub) soll in diesem Vortrag ebenso die Frage nach den unbefriedigten Erwartungen des Kinopublikums im Mittelpunkt stehen. Einer Typologie ausgelassener Filmbilder zugehörig scheinen Alfred Hitchcocks nicht aufgelöste MacGuffins ebenso wie narrativ entscheidende Momente in Birdman, die auditiv hörbar, visuell lediglich angeschnitten oder gänzlich im Off stattfinden. Dieser Beitrag will versuchen, enttäuschte Erwartungen auf Seiten der Rezipient_innen filmphänomenologisch als ambivalente Paradigmen einer unangenehmen Ästhetik des Films zu deuten und zu untersuchen.


Aileen Pinkert studierte Medienkultur und Medienwissenschaft an der Bauhaus-Universität Weimar und der Universiteit Utrecht. Seit 2014 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg. 2013-2014 war sie Lehrbeauftragte an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig. 2012-2014 arbeitete sie als Redakteurin eines Fachverlags und als Produktionsleiterin bei einer Film- und Fernsehproduktionsfirma.