Kategorie: Abstract FFK2017 (Seite 4 von 5)

Reinerth, Maike

Erinnern – Imaginieren – Verstehen. Zur Darstellung von Erinnerung im Spielfilm

Letztlich tun sie alle dasselbe – Rick Blaine mit einer Flasche Gin in seinem Café (Casablanca, 1942), ‚Elle‘ während einer leidenschaftlichen Liebesnacht in Hiroshima (Hiroshima mon amour, 1959) und David ‚Noodles‘ Aaronson auf Fat Moe’s Toilette (Once Upon A Time in America, 1984): sich erinnern. Diese für die meisten Zuschauer*innen selbstverständliche Erkenntnis ist eigentlich höchst erstaunlich. Denn woher wissen wir, dass hier Figuren Einblicke in ihr Gedächtnis geben? Äußerlich unsichtbare, innere Vorgänge wie das Erinnern lassen sich im Unterschied zu den meisten filmischen Motiven und Standardsituationen schließlich nicht direkt abbilden, sondern nur in ästhetische Darstellungen übersetzen.

Hinterfragt man die Selbstverständlichkeit, mit der wir diese und andere Erinnerungssequenzen zu verstehen scheinen, wirft das eine Reihe von Fragen auf, die ich in meinem Promotionsprojekt zu beantworten suche. Grundlegend ist dabei die Annahme, dass Zuschauer*innen mit Filmemacher*innen bestimmte, nur zum Teil explizite Annahmen über Imaginationen und Bewusstseinsprozesse – zu denen auch das autobiografische oder episodische Erinnern gehört – teilen, die die Basis für die Verständigung über derartig schwierig zu objektivierende und konkretisierende, von individuellen Erlebnisqualitäten und Empfindungen begleitete subjektive Phänomene sind. Die audiovisuelle Inszenierung von Erinnerungssequenzen gründet demnach wenigstens zum Teil auf spezifischen, meist impliziten Übereinkünften zwischen Filmschaffenden und Filmsehenden – auf Vorstellungen unter anderem darüber, wie Erinnerungen ‚aussehen‘ und sich ‚anfühlen‘ können, welche Funktionen sie erfüllen und wie sie sich zu verwandten Bewusstseinsprozessen, wie Träumen oder Fantasien, verhalten.

Mein Vortrag versteht sich als Werkstattbericht, der aktuelle Ergebnisse der Arbeit zur Diskussion stellen will.


Maike Sarah Reinerth lehrt und forscht zur Ästhetik, Theorie und Geschichte des Films, kognitiven Medientheorien und Animation Studies.

Ihr Dissertationsprojekt befasst sich mit filmischen Darstellungen von Imaginationen. Sie ist (noch) medienwissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Hamburg, ab April 2017 Stipendiatin des Brandenburgischen Zentrums für Medienwissenschaften (ZeM) und seit 2015 Mutter eines Sohnes.

Aktuelle Publikationen:

  • Subjectivity across Media. Interdisciplinary and Transmedial Approaches (2017)
  • In Bewegung setzen … Beiträge zur deutschsprachigen Animationsforschung (2017).

Martin, Silke und Kayo Adachi-Rabe

Filmische Übersetzungsbilder – Kirschblüten – Hanami (D/F 2008, Doris Dörrie)

Folgt man Michel Serres‘ Werk Übersetzung (1992), so ist es „aufschlußreich, die Operation des Übersetzens zu untersuchen. Es geht nicht um eine abstrakte Definition; es geht darum, diese Operation möglichst umfassend und in den unterschiedlichsten Gebieten zum Funktionieren zu bringen: innerhalb des kanonischen Wissens und seiner Geschichte, im Wechselverhältnis zwischen Enzyklopädie und Philosophie, in der Kunst und in Texten […].“ Wie die Operation des Übersetzens im filmischen Kontext zum Funktionieren gebracht und angewendet werden kann, soll im Mittelpunkt des Beitrags stehen. Am Beispiel von Kirschblüten – Hanami (D/F 2008, Doris Dörrie) soll den japanisch-deutschen Übersetzungsprozessen innerdiegetischer Dialoge und Gesten, der Mise-en-Scène (textile Stoffe wie Kimono, Zelt, Plane) sowie der Kadrierung und Montage statischer und bewegter Bildkünste (wie Film, Tanztheater Butoh, Holzschnittkunst von Hokusai, Landschaftsmalerei) nachgespürt werden. Die geographisch-räumliche Übersetzung von Schauplätzen und Landschaften (wie dem Allgäuer Alpenvorland, den Großstädten Berlin und Tokyo, der Ostsee und des Mount Fuji) sind dabei ebenso Teil der Untersuchung wie die zeitlich-kulturelle Wanderung von Autor*innenkonzepten wie denen von Yasujirō Ozu, Wim Wenders und Doris Dörrie.

In diesem Sinne schlage ich den Begriff eines filmischen Übersetzungsbildes vor, der die verschiedenen Ebenen der Übersetzungsleistung des Films terminologisch fassen soll. Es kann in diesem Zusammenhang von mindestens sechs strukturell unterschiedlichen Ebenen gesprochen werden: der dialogischen, inszenatorischen, bildgestalterischen, autore*innenbezogenen, medialen und mentalen. Die Beschreibung dieser Ebenen soll, wie Serres sagen würde, „die Operation des Übersetzens möglichst umfassend und in den unterschiedlichsten Gebieten zum Funktionieren bringen“. Schließlich soll diese Beschreibung aber auch umgekehrt die Bedeutung der Serres’schen Schriften für die Filmwissenschaft und deren Übersetzung in die Philosophie leisten.


Silke Martin, Dr. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Studium der Medienkultur an der Bauhaus-Universität Weimar, Promotion 2009.

Forschungsschwerpunkte: Theorie, Geschichte und Ästhetik des Films, Medien- und Filmphilosophie, Sound/Ageing Studies.

Publikationen (Auswahl):

  • Berg und Film. Kultur und Ästhetik von Höhenlandschaft im deutschsprachigen Film der Gegenwart. Marburg, 2017 (im Erscheinen);
  • Die Sichtbarkeit des Tons im Film. Akustische Modernisierungen des Films seit den 1920er-Jahren. Marburg, 2010.

Kayo Adachi-Rabe, Dr. phil., studierte Germanistik in Tokio sowie Filmwissenschaft und Kunstgeschichte in Berlin.

Promotion 2002 an der Philipps-Universität Marburg unter dem Titel Abwesenheit im Film. Zur Theorie und Geschichte des hors-champ (Münster: Nodus Publikati-on 2005).

Lehrte im Fach Japanologie in Berlin, Leipzig und Düsseldorf. Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für Geschichte und Ästhetik der Medien an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und am Seminar der Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt.

Derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fakultät Medien an der Bauhaus-Universität Weimar.

Scharlach, Rebecca

#transmediaTV: Wie Neo Magazin Royale die deutsche Fernsehlandschaft verändert.

Durch die wachsende Bandbreite an Online-Angeboten und die immer größere Einbindung von Social Media Kanälen und Second Screen Apps befindet sich die Fernsehlandschaft in einem grundlegenden Wandel. Es werden neue raum- zeitlichen Strukturen geschaffen, die sowohl auf die einzelnen Medienformate als auch die einhergehenden Nutzungs- und Rezeptionsweisen Einfluss nehmen.

So wie sich Fernsehen verändert, verändern sich auch die Sehgewohnheiten der Zuschauer*innen. Serien und Sendungen sind nicht mehr nur auf das Medium Fernsehen beschränkt. Es können neue Inhalte entstehen, welche die audio-visuellen TV-Inhalte ergänzen, verändern und erweitern. Diese Phänomen wird unter dem Begriff „Transmedia Storytelling“ verhandelt.

Am Beispiel der Sendung Neo Magazin Royale möchte ich mich in meinem Vortrag der Frage widmen, welche Interdependenzen zwischen Transmedia Storytelling und der Fernsehentwicklung bestehen.

Im Rahmen meiner Bachelorarbeit habe ich eine Onlinebefragung zum transmedialen Rezeptionsverhalten mit über 380 Teilnehmer*innen durchgeführt. Die satirische Late- Night-Show nimmt in Deutschland eine Vorreiterrolle in Bezug auf die Realisierung transmedialer Inhalte in nicht fiktionalen TV-Formaten ein, dabei ist vorwiegend die Einbindung von Social Media Plattformen außergewöhnlich.

In meinem Vortrag möchte ich zu nächst einen groben Überblick über das Format  geben,  um  damit  die  Brücke  zu  den  transmedialen  Inhalten  zu schlagen. Weiterführend werde ich die Ergebnisse meiner Onlinebefragung vorstellen, um anschließend eine Diskussion über die Entwicklung von transmedialen audio-visuellen Inhalten im deutschen TV-Markt führen zu können.


Rebecca Scharlach studierte Medienwissenschaft an der Universität Siegen und legte ihre Bachelorarbeit zum Thema Transmediale Rezeption bei «Neo Magazin Royale» vor.

An der Universität Siegen arbeite sie als studentische Hilfskraft im Fachbereich Medienwissenschaft, sowie als Tutorin für Medienpraxis Seminare. Während und nach ihrem Bachelorstudium arbeitete sie im Bereich Film & Fernsehen.

Seit Oktober 2016 studiert sie Medienwissenschaft im Master an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf und ist studentische Mitarbeiterin im Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (Forschungsprojekt «D-WERFT»).

Born, Simon

„This is my design“ – Postmoderne Todesbilder in den TV-Serien von Bryan Fuller

Der Tod ist zu einem zentralen Motiv aktueller US-Fernsehserien geworden. Neue, innovative Erzählformate brechen bewusst mit Sehgewohnheiten und konfrontieren den Zuschauer mit einer nie dagewesenen Intensität und Regelmäßigkeit an Todesdarstellungen. Diese „neue Sichtbarkeit des Todes“ (Macho/Marek 2007) manifestiert sich in der Ästhetisierung des toten Körpers – ob am Tatort, in der Leichenhalle, oder als Wiedergänger. Ein neuer Darstellungsmodus ist entstanden, in dem die Leiche nicht den Tod, sondern gegenwärtige soziokulturelle Bewältigungsstrategien im Umgang mit dem Lebensende abbildet (Weber 2011).

Die Darstellung der Leiche als Ausdruck einer individuellen Todesauffassung lässt sich mustergültig im Schaffen des Showrunners Bryan Fuller ablesen. Fullers Werk ist von der Auseinandersetzung mit dem Tod durchgezogen. Seine Serien erzählen vom morbiden Alltag ihrer Protagonisten, die als Grenzgänger zwischen Leben und Sterben professionell mit dem Tod zu tun haben: Die kürzlich verschiedene Georgia aus Dead Like Me (2003-2004, Showtime) sammelt die Seelen Verstorbener; in Pushing Daisies (2007-2008, ABC) reanimiert Kuchenverkäufer Ned die Toten; Serienkiller Hannibal Lecter komponiert aus den Leichen seiner Opfer grotesk-kunstvolle Todes-Tableaus (Hannibal, 2013-2015, NBC).

Die auffällige Bildinszenierung von sterbenden und toten Körpern in Dead Like Me, Pushing Daisies und Hannibal offenbart das widersprüchliche Verhältnis zwischen Bild und Tod. Fullers neobarocke Todesbilder sind überhöht, stilisiert, surreal; sie stehen den realitätsnahen Darstellungen von Leichen in anderen Krimi- und Dramenserien gegenüber. Sind sie bloß postmoderne Spielereien, die den Tod als sensationellen Unterhaltungswert missbrauchen, oder können sie den Zuschauer tatsächlich an eine ausdifferenzierte Beschäftigung mit der eigenen Sterblichkeit heranführen?


Simon Born (*1988) studierte das Diplomfach Mediendramaturgie an der Johannes-Gutenberg Universität Mainz und promoviert derzeit im Fach Medienwissenschaft an der Universität Siegen.

Verfasser zahlreicher Texte zur Film- und Medienkultur für die Online-Filmmagazine Screenshot – Texte zum Film und NEGATIV.

Aktuelle Forschungsinteressen umfassen u.a. zeitgenössische Serienproduktionen, transmediale Erzählkonzepte, Filmmusik und Filmkomödie.

Pauliks, Kevin

Medienreflexion im Computerspiel: Das fotografische Fragment als Zeit- und Raumremediatisierung in Life is Strange

Seit dem Aufkommen des fotografischen Bildes im 19. Jahrhundert wurde dieses durchweg als fragmentarisch bezeichnet. Aus der Wirklichkeit schneidet das Medium einen Raum- und Zeit- ausschnitt aus, in dem die Kontingenz der Welt festgehalten wird (vgl. Dubois 1998: 155-213). In der simulierten Fotografie des Computerspiels fehlt hingegen eine solche Kontingenzbezie- hung zur Wirklichkeit, weil es nun keinen Lichtabdruck mehr gibt, der die Weltkontingenz festhalten könnte, sondern lediglich „a rendering of events from a virtual world (Giddings 2013: 42) stattfindet. Die Kontingenz der Fotografie kollidiert mit der Intentionalität des Computer- spiels, sodass auf einer zeitlichen Ebene der Fragmenttyp transformiert wird.

Computerspiele werden wiederum seit den Anfängen der Game Studies primär als Räume begriffen und erforscht (vgl. Wolf 1997). Insbesondere 3D-Spiele haben durch sogenannte „Offscreenbuffer“ (Günzel 2013:169) die Tendenz, das Bild zu defragmentieren.

Wie findet in diesem doppelten Sinne das fotografische Fragment in die defragmentierte 3D- Umgebung Einzug? Das Vorhaben des Vortrags ist es, die Medienreflexion der Fotografie in dem Computerspiel Life is Strange (2015) zu beleuchten, die als eine „prüfend-fragende Vergleichspraxis zum Zwecke der Selbsterkenntnis“ (Kirchmann / Ruchatz 2014: 9) wortwörtlich den Computerspielraum an seine zeitlichen Grenzen bringt.


Kevin Pauliks (M.A.) studierte von 2011 bis 2016 an der Philipps-Universität Marburg Medienwissenschaft und Soziologie. Seine Masterarbeit hat er über die Serialität von Internet-Memes verfasst.

Auf pixeldiskurs.de schreibt er als Redakteur über die kulturellen Facetten von Computerspielen. Sein Forschungsinteresse liegt u. a. auf Internet-Memes, Tod in Medien und Medienreflexion im Computerspiel. Er promoviert zum Thema Gedächtnis und Serialität.

Kaiser, Tina

Stil und Dramaturgie audiovisuell

Filmstil ist ein Begriff, der an verschiedene Felder anschlussfähig ist und zwischen diesen vermittelt, selbst aber bisher nur ungenügend in den Blick genommen wurde. Dabei weist er eine erstaunliche Flexibilität auf. Er wird als Distinktionsmerkmal individueller Filme und Personen ebenso verwendet wie zur Feststellung der Zusammengehörigkeit von Werkgruppen. Er wird einerseits der autonomen Entscheidung eines Künstlersubjekts zugerechnet, andererseits den äußeren (technischen, ökonomischen, kulturellen) Bedingungen ästhetischer Produktion. Dominante ästhetische Konventionen werden als »Stil« beschrieben, aber auch die Abweichung, das Zufällige, das Inkommensurable und das Unbeherrschbare. Stil ist Autonomie und Heteronomie, Epoche und Individuum, ein anzustrebendes Ideal und die Summe faktisch beobachtbarer Merkmale. Er steht grundsätzlich zwischen Anschauung und Ästhetik zum einen, künstlerischer Praxis und Handwerk zum anderen: zwischen dem Was und dem Wie des Films.

Der vor kurzem erschienene Sammelband „Filmstil. Perspektivierungen eines Begriffs“ fasst die Ergebnisse des DFG-Forschungsnetzwerks „Filmstil“ zusammen. Als Mitherausgeberin möchte ich einige Einblicke anhand meines Teilprojekts „Stil und Dramaturgie audiovisuell“ gewähren. Ich gehe dabei der Frage nach, wie sich Stil und Narration gegenseitig beeinflussen und wie Übergänge von einem zum anderen (be-)greifbar gemacht werden können. Der Text denkt beide (in Stilanalysen üblicherweise getrennten) Dimensionen zusammen: Die Formästhetik als narrative Übung und die dramaturgischen Elemente als Stilstrategien.


Tina Kaiser, Dr. phil, ist seit 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg.

Studium der Kultur-, Kunst- und Filmwissenschaften in Lüneburg und Berlin.

  • 2008 Promotion mit der Arbeit Aufnahmen der Durchquerung – Das Transitorische im Film (Bielefeld).
  • Arbeiten als Autorin, Herausgeberin, Dozentin sowie im Kultur- und Kinofilmbereich (Regieassistenz, Stoffentwicklung etc.).
  • 2011-2014 Organisationsleitung und konzeptionelle Co-Leitung des Marburger Kamerapreises und der Bild-Kunst Kameragespräche.
  • Seit 2012 Mitglied des DFG-Forschungsnetzwerks „Filmstil“.
  • 2015 Mitgründerin der medienpraktischen Veranstaltungsreihe DOING AUDIO-VISUAL MEDIA.

Aktuelles Forschungsprojekt: „Arbeit am Audiovisuellen – ästhetische, narrative und produktionstechnische Strategien“ (AT).

Jüngste Publikationen: Filmstil. Perspektivierungen eines Begriffs und  Filmkonzepte #41: Pedro Costa (beide München 2016).

Sarkar Farshi, Golnaz

Kennen Sie Heimatfilme Herr Luhmann?

– oder Wie Film ein Massenmedium sein kann

Ob sich Niklas Luhmann in den 1950er Jahren von Heimatfilmen unterhalten lassen hat ist uns unbekannt. Aber wenn er mit seiner sozialen Systemtheorie an Kinofilme, inklusive Heimatfilme herangehen würde, würde er gewiß von dem Problem verhindert, das wir hier stellen wollen.

Luhmann subsumiert Film unter den Massenmedien: Jene Einrichtungen der Gesellschaft, „die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Vervielfältigung bedienen“[1]. Problematisch wird seine Theorie aber ganz am Anfang, wo er sie mit Hinblick auf Fernsehen und Druckpresse entwickelt, und Kinofilme total aus dem Auge verliert. Daraus resultiert, dass das Kinofilm als Gegenbeispiel gegen seiner Thoerie der Massenmedien verwendet werden kann – z.B. indem, dass Luhmann die Programme der Massenmedien auf „Nachrichten/Berichte, Unterhaltung und Werbung“ reduziert, während diese nur drei mögliche (und nicht nötige) Funktionen des Kinofilms – unter vielen anderen – sind; oder wo er Kunst von Unterhaltung privativ unterscheidet[2], während Kinofilme die beiden Funktionen (uzw. gleichzeitig) übernehmen können.

Unser Ziel in diesem Aufsatz ist, mögliche theoretische Lösungen für die Miteinbeziehung des Kinofilms in Luhmanns Medientheorie vorzuschlagen. Zu dessen Gunsten werden die von ihm vorgestellten Programmbereiche der Massenmedien sowie der Kommunikationscode dieser Medien kritisiert. Wir wreden dann sehen, wie die Massenmedien nicht als soziales System, sondern als Medien der Kommunikation funktionieren, die von unterschiedlichen sozialen Systemen in Anspruch genommen werden. Zur Verdeutlichung unserer Diskussion analysieren wir den „Heimatfilm“, Grün ist die Heide (Hans Deppe, 1951), der als ein hervorragendes Beispiel der Unterhaltung, der Selbstreflektion der Gesellschaft, und der Art und Weise dient, wie sich die Gesellschaft durch das Kino eine alternative Realität schafft.

[1] Luhmann, Niklas. Die Realität der Massenmedien. 2., erweiterte Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag. 1996, 10.

[2] Ebenda, 123-24.


Golnaz Sarkar Farshi promoviert an der Bauhaus-Universität Weimar zum Thema „Die Genres der Gesellschaft“.

Ihre wichtigsten Publikationen lauten:

Übersetzungen ins Persischen:
  • What Photography Is (James Elkins), 2016.
  • The Routledge Companion to Critical Theory, 2016.
Zeitschriftartikel:
  • “A Critical Reading of Siegfried Kracauer’s Film Theory”. Kimiya-ye-Honar, 2013
Tagungsbeiträge:
  • “Societies in Films: Towards a Social Systems Theory of Genre”. Florence, 2015.
  • “Cinema as a Social System: A Genre Study of Post-War German Cinema”. Jena, 2015.
  • “Racial Identity in a Post-Modern World: Django Unchained”. London, 2014.

Zündel, Jana

The Art of the Title? Titelkarten von Fernsehserien im Spannungsfeld produktionstechnischer Beschränkungen und ästhetischer Anforderungen

Aller Anfang ist redundant: Was der Spielfilm nur einmal durchführt, steht bei der Fernsehserie für jede Folge erneut auf der Tagesordnung. Aufgrund ihrer Mehrteiligkeit ist sie durch eine Vielzahl von (Episoden-)Anfängen gekennzeichnet, die eben nicht den Beginn von etwas Neuem markieren, sondern die Rückkehr zum Bekannten. Aller Anfang ist auch mehrteilig: Der Prozess der Immer-wieder-neu-Beginnens und Fortschreibens der seriellen Geschichte zerfällt in drei Module: die Recap, die Titel- und die Eröffnungssequenz. Von diesen Bausteinen ist die Titelsequenz (auch Vorspann, Opening Credits oder Intro) die größte Konstante, da sie sich i.d.R. wenig bis gar nicht verändert. Das Intro markiert als ästhetisch auffällige Schwelle nicht nur den einzelnen Episodenanfang, sondern gibt sich vielfach als Zugang zum gesamten Serienuniversum. Der Serienvorspann hat zu einer Kunstform entwickelt, die häufig aufwändig produziert wird und kinematographische Traditionen aufgreift. Diese bis zu 2 Minuten langen Sequenzen, die in stilisierter Form die Diegese entfalten, Genre, Ton und Atmosphäre etablieren oder einen übergeordneten Diskurs andeuten – oder alles zugleich – werden mittlerweile häufig besprochen. Wenig Aufmerksamkeit dagegen kommt dem minimalistischen Gegenstück zu, jenen kurzen, oft nur wenige Sekunden andauernden Intros, die auf den ersten Blick nicht mehr tun als den Serientitel einzublenden. Diese Titelkarten, meist nur aus einer oder zwei Einstellungen bestehend, sind ein Produkt der beschränkten Sendezeit im Fernsehen. Zwar enthalten sie keine Credits, müssen jedoch wie ihre ‚großen Brüder‘ einen wichtigen Punkt erfüllen: die Serie zweifelsfrei kennzeichnen. Inwiefern unterscheiden also Titelkarten von Serienvorspannen in der Art und Weise, wie sie auf ihren Referenztext verweisen? Der Beitrag untersucht das formale und funktionale Gefälle zwischen Titelsequenzen und –karten und diskutiert die ästhetischen Möglichkeiten der ‚kleinen‘ Intros.


Jana Zündel M.A., Studium der Medienwissenschaft an der Bauhaus-Universität Weimar (2008-2011) und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (2012-2015). Masterarbeit veröffentlicht als An den Drehschrauben filmischer Spannung (ibidem-Verlag). Aktuell wissenschaftliche Hilfskraft in der Professur für Filmwissenschaft/Audiovisuelle Medienkulturen der Universität Bonn, Schwerpunkt Film- und Fernsehanalyse. Dissertationsvorhaben zum Thema Episodenanfänge in US-amerikanischen Fernsehserien

Saalfeld, Robin K.

‚I won’t disappear into the bog. The bog is in me.’ Das Unsichtbare darstellbar machen: Analysen zu den Repräsentationspolitiken von Transgeschlechtlichkeit im zeitgenössischen Spielfilm

Spielfilme liefern mit ihren Bewegtbildern, den in ihnen erzählten Geschichten, mit dem, was sie sicht- und hörbar machen und was unsichtbar und verschwiegen bleibt, vielfache Interpretationen der Welt. Wenn man davon ausgeht, dass die jeweils filmspezifische Form der Audiovisualität dadurch als diskursive Formation zu betrachten ist, die Subjekte innerhalb eines Feldes der Repräsentierbarkeit produziert, dass sie Phänomene auf spezifische Art und Weise sichtbar macht, während andere unsichtbar bleiben und marginalisiert werden, dann ist es besonders spannend und erkenntnisreich analytisch zu verfolgen, wie der Film ein Phänomen präsentiert, das sich grundlegend einer audiovisuellen Vermittlung entzieht. Transgeschlechtlichkeit bezeichnet Menschen, bei denen keine (vollständige) Übereinstimmung  zwischen  dem  bei  Geburt  zugewiesenen  und  gefühltem  Geschlecht vorliegt. Wie vielfach herausgestellt wurde, handelt es sich um ein das Identitätsgefühl (mit)bestimmendes Phänomen, das vor allem im Inneren eines Menschen, d.h. leiblich erfahren wird. Da Transgeschlechtlichkeit daher ein von außen nicht unmittelbar sichtbares Phänomen darstellt, liegt die Vermutung nahe, dass dessen filmische Vermittlung in besonderer Weise von Repräsentationspolitiken („politics of representation“ nach Hall 1997) regiert ist, deren Analyse Zugang zu den kollektiven Vorstellungen über (Cis- und Trans*)Geschlechtlichkeit, Sexualität und Queerness ermöglicht. Ausgehend von Spielfilmen ab den 1990er Jahren, die Transgeschlechtlichkeit zum narrativen Leitthema haben, sollen diese Repräsentationspolitiken im Vortrag vorgestellt und problematisiert werden.


Robin K. Saalfeld, M.A. studierte Medienwissenschaft, Soziologie und Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und ist seit 2013 wissenschaftliche_r Mitarbeiter_in am Lehrstuhl für Geschichte und Ästhetik der Medien der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften. Momentan arbeitet er_sie an einem Promotionsprojekt zur Konstruktion von Transgeschlechtlichkeit im zeitgenössischen Erzählfilm.

Lehnert, Sigrun

Vermittlungsstrategien der Kino-Wochenschau der 1950er/1960er Jahre (West-Ost)

Bevor sich das Fernsehen Ende der 1950er Jahre als Massenmedium in Deutschland etablierte, prägte die Wochenschau im Kino-Vorprogramm das Image der geteilten deutschen Nation. Neben der gebotenen Information über politische und wirtschaftliche Fortschritte wurden unterhaltende Berichte genutzt, um Normen und Werte einer demokratischen Gesellschaft zu vermitteln. Die Neue Deutsche Wochenschau (NDW) wurde Ende 1949 mit Initiative des Bundespresseamtes in Hamburg gegründet. In Ostdeutschland wurde die staatliche gelenkte Wochenschau Der Augenzeuge produziert.

Die 10-15 Berichte einer Wochenschau-Ausgabe, von den Produzenten ‚Stories‘ genannt, waren geradezu komponiert: Bilder, Kommentar und Musik ergaben durch den Schnitt und die Montage eine Narration. Jede Story war eingebunden in ein Gesamtkonzept der Ausgabe und somit wiederum in eine Erzählung: Sorgfältig gestaltete Übergänge von einem Bericht zum nächsten – durch gesprochenen Kommentar, Musik oder Bildanalogien, sorgten für ein ‚Fließen‘ der Inhalte. Die zweite Säule der Vermittlung besteht in einem Framing auf der Ebene eines einzelnen Berichtes und der Ausgabe (Frame-Elemente nach Entman, 1993).

Narration und Framing der west- und ostdeutschen Wochenschau lenkten die Aufmerksamkeit der Zuschauer und ließen politische Bedeutungen entstehen, gaben Orientierung in der Zeit des wirtschaftlichen Aufbaus und des Kalten Krieges. Im Sinne von Bordwell & Thompson können im Wochenschaufilm ‚Cues‘ identifiziert werden, die dem Zuschauer das ‚richtige‘ Verstehen ermöglichen sollten. Heute müssen wir diese Hinweisreize im Rahmen des (medien-) historischen Kontextes interpretieren. Der Beitrag für das FFK 2017 wird an Beispielen die besonderen Vermittlungsstrategien der west- und ostdeutschen Wochenschau durch die kompositorische Struktur, die verschiedenen Filmelemente und Übergänge verdeutlichen.

Abb.: Thema England in NDW Nr. 39

Abb.: Thema England in NDW Nr. 39 – Die Freiheitsglocke kommt nach Restaurierung in England zurück nach Berlin – in den Folgestories geht es um die Taufe von Prinzessin Anne und um einen Autosalon in London (Quelle: Screenshot von www.filmothek.bundesarchiv.de)


Dr. Sigrun Lehnert, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in Hamburg, Studium Medienmanagement (M.A.) in Hannover, Promotion an der Universität Hamburg im Fach Medienwissenschaft mit einer Arbeit zu: „Wochenschau und Tagesschau in den 1950er Jahren“ (erschienen 2013, UVK-Verlag), Forschungsschwerpunkte: Audiovisuelle Vermittlungsstrategien in Film und Fernsehen. Das aktuelle Post-doc Projekt behandelt u.a. den wirtschaftlichen Aufschwung in der Kino-Wochenschau im Vergleich Ost und West.

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